Von smarten Helfern zu echten Kollegen.
Viele Bauunternehmen nutzen bereits generative KI – etwa in Form von Copiloten, die E-Mails zusammenfassen, Präsentationen aufbereiten oder Planungsdaten strukturieren. Diese Tools leisten wertvolle Unterstützung – bleiben aber reaktiv: Sie warten darauf, dass jemand sie anleitet und konkret beauftragt.
Was wäre, wenn die KI selbst erkennt, was im Prozess als Nächstes ansteht, aktiv Vorschläge macht, Tools bedient – und dabei im engen Schulterschluss mit Mensch und System arbeitet?
Willkommen im Zeitalter der agentischen KI: Systeme, die eigenständig Aufgaben erkennen, planen und ausführen – entlang dokumentierter Prozesse und unter Einhaltung betrieblicher Regeln.
Der Paradigmenwechsel: Copiloten entlasten – Agenten übernehmen.
Copiloten auf Grundlage generativer KI wie ChatGPT, Google Gemini oder Microsoft Copilot bieten bereits produktive Hilfe und digitale Assistenz in einzelnen Arbeitsschritten. Jedoch bleiben die Copiloten weitestgehend passiv und müssen aktiv gesteuert und eingesetzt werden.
Die nächste Stufe ist daher die KI-Nutzung mit aktiven Agenten, die:
- selbstständig Aufgaben planen und abarbeiten,
- mehrere Systeme orchestrieren (z. B. ERP, CRM, E-Mail),
- Ziele verfolgen und Entscheidungen vorbereiten,
- und dabei rückmeldungsfähig und lernbereit sind.
Diese Agenten werden nicht mehr nur befragt, sie arbeiten eigenständig und prozessorientiert – als digitale Kolleginnen und Kollegen, eingebettet in den operativen Ablauf.
Ein Beispiel aus der Praxis: Materialbeschaffung im Bauprojekt
KI Stufe 1: Assistenz durch Copilot
In dieser Stufe nutzt die Bauleitung eine KI in der Rolle eines intelligenten Assistenten, der auf Anfrage unterstützende Aufgaben übernimmt.
Die Bauleitung bereitet die nächste Bauphase vor und konsultiert den aktuellen Bauablaufplan. Mit Hilfe eines KI-Copiloten lässt sie sich eine vorläufige Materialliste erstellen.
Um sicherzugehen, dass nichts vergessen wurde, durchsucht die Bauleitung – unterstützt durch KI – in vergleichbaren Projekten ähnliche Bestellvorgänge. Der Copilot hilft dabei, relevante Informationen zu extrahieren und Entwürfe für Bestellungen sowie Anschreiben an Lieferanten zu generieren, die im Anschluss manuell geprüft, angepasst und versendet werden.
Ergebnis: Der Copilot bringt Effizienz bei der Informationsverarbeitung und Aufbereitung, bleibt aber ein passiver Helfer – die Initiative, Kontrolle und Verantwortung liegen weiterhin vollständig beim Menschen.
KI Stufe 2: Eigenständige Prozessausführung durch Agenten
In dieser Stufe wird ein KI-Agent als aktiver Prozessbeteiligter in das Bauprojekt eingebunden. Der Agent handelt proaktiv und eigenständig innerhalb definierter Regeln und Strukturen.
Er überwacht fortlaufend den Projektfortschritt anhand des Bauablaufplans und erkennt eigenständig, was wann gebaut werden soll – und welche Materialien dafür jeweils benötigt werden.
Basierend auf:
- den hinterlegten Materialstandards
- den in der Kalkulation der Teilleistungen hinterlegten Artikeln
- dokumentierten Einkaufsprozessen
- Rahmenverträgen und Lieferantenbewertungen
- gängigen Vorlaufzeiten
- geltenden Geschäftsregeln (z. B. Freigabestufen, Lieferantenbindung)
führt der Agent eigenständige Tätigkeiten aus:
- er prüft Materialbestände
- ermittelt den konkreten Bedarf
- erstellt eine vollständige, regelkonforme Bestellung
- übergibt diese – je nach Berechtigung – zur Freigabe oder transferiert sie direkt ins ERP-System.
Ergebnis: Der KI-Agent agiert proaktiv und systemintegriert, sorgt für Termin- und Versorgungssicherheit und entlastet die Projektbeteiligten durch automatisierte Routineentscheidungen mit klarer Nachvollziehbarkeit.
Warum Struktur entscheidend ist
Damit ein KI-Agent effektiv, sicher und zielgerichtet agieren kann, braucht er mehr als Rechenleistung – er braucht strukturiertes, zugängliches Unternehmenswissen:
- klar dokumentierte Prozesse
- Geschäftsregeln und Ausnahmen
- Wissen über IT-Systeme, Daten und Zuständigkeiten
- Zugriff auf Bewegungsdaten
Nur wenn dieses Fundament gelegt ist, kann ein KI-Agent Entscheidungen im richtigen Kontext treffen, Regeln einhalten, Ausnahmen erkennen – und verantwortungsvoll handeln, ohne auf permanente menschliche Anleitung angewiesen zu sein. Agenten profitieren dabei immens von strukturiert dokumentiertem Wissen in orchestrierten Prozessen.
Was Unternehmen jetzt brauchen
- Prozessorientiertes Denken
Welche wiederkehrenden Aufgaben lassen sich delegieren? Agenten entfalten ihren Nutzen vor allem in strukturierten, planbaren Abläufen. - Strukturiertes Wissen bereitstellen
Vom Prozessmodell über Systemlandschaften bis zu Datenflüssen: Je klarer dokumentiert, desto leistungsfähiger der Agent. - Tool-Integration sicherstellen
Die KI muss auf relevante Systeme zugreifen können – mit definierten Rechten, APIs und Rückmeldemöglichkeiten. - KI-Governance aufbauen
Transparenz, Kontrolle und Feedback sind essenziell. Agenten brauchen klare Leitplanken, Rechte- und Rollenkonzepte. - Rollen und Kompetenzen anpassen
Künftig steuern Mitarbeitende nicht mehr nur Systeme – sondern auch Agenten: prüfen, hinterfragen, verbessern. Das verändert Aufgaben und Qualifikationsprofile.
Fazit: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt
Der Schritt von Copilot zu KI-Agent ist kein Zukunftsszenario – die Technologie ist einsatzbereit. Doch der Schlüssel liegt in der Organisationsentwicklung. Wer diese meistert, kann mit KI-Agenten Prozesse beschleunigen, Ressourcen gezielt einsetzen und neue Wertschöpfungspotenziale heben.
Dr. Wiebke Dresp und Peter Rösch beraten Bauunternehmen und Softwareanbieter beim Einsatz von KI und Agenten in orchestrierten Prozessen.